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Ausland

CHILE: Menschenrechtsgerichtshof schafft Präzedenzfall


Poonal Nr. 966
Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer
Agenturen vom  3. Oktober bis  9. Oktober 2011


CHILE

Präzedenzfall: Menschengerichtshof nimmt Klage gegen Anwendung des Antiterror-Gesetzes gegen Mapuche an

Von Elías Paillan, Temuko

(Berlin, 23. August 2011, npl).- (Temuko, 23. August 2011, azkintuw).- Wegen der Verletzung fundamentaler in der Amerikanischen Menschenrechtskonvention verbürgter Rechte des Volks der Mapuche muss sich der Staat Chile vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte in einem Prozess verantworten. Er hatte das unter Pinochet eingeführte Antiterrorgesetz Ley N°18.314 auf Gerichtsverfahren um territoriale Ansprüche der Mapuche angewendet.

Empfehlungen der Kommission nicht umgesetzt

Die Interamerikanische Kommission bestätigte die Diskriminierungsvorwürfe hinsichtlich der Anwendung des Antiterrorgesetzes auf die Proteste der Mapuche und beschloss, die Beschwerden im Zusammenhang mit dem Fall Poluco Pidenco, der zur Verhaftung der Gemeindevorsteher Pascual Pichun und Aniceto Norin sowie Víctor Ancalafs geführt hatte, an den Interamerikanischen Gerichtshof weiterzuleiten. Am 7. August setzte die Kommission ihren Beschluss um, da die Regierung den durch die Kommission ausgesprochenen Empfehlungen nicht Folge geleistet hatte, wie die Kommission in ihrem Abschlussbericht vermerkt.

Im Rahmen einer Pressekonferenz in Temuco würdigten die Menschenrechtsanwälte José Aylwin und Jaime Madariaga die Entscheidung und erklärten, der chilenische Staat riskiere mit seinem Verhalten verschiedenen Sanktionen, die von der Entschädigung der Opfer einschließlich der Versicherung, dass sich vergleichbare Menschenrechtsverletzungen nicht wiederholen werden, bis zur Gesetzesänderung reichen.

Klage ist Präzedenzfall beim Interamerikanischen Gerichtshof

Weil der chilenische Staat das Gesetz N°18.314, das so genannte Antiterrorgesetz, das zur Verurteilung und Bestrafung terroristischer Gruppen eingeführt wurde, auf den Protest um die territorialen Ansprüche der Mapuche angewendet und in diesem Zusammenhang fundamentale, in der Amerikanischen Menschenrechtskonvention verbürgte Rechte des Volks der Mapuche verletzt hat, muss er sich nun vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte verantworten.

„Dies ist ein Präzedenzfall in der Geschichte des Interamerikanischen Gerichtshofs“, erklärte Jaime Madariaga bei der Pressekonferenz in Temuco. „Noch nie wurde hier die Klage von Angehörigen einer indigenen Bevölkerungsgruppe aufgrund der diskriminatorischen Anwendung eines Gesetzes verhandelt.“

Chile wegen Menschenrechtsverletzungen angeklagt

José Aylwin, Co-Direktor der Initiative Observatorio Ciudadano, lobte die Entscheidung der Kommission als eine deutliche Anerkennung der Bemühungen von Menschenrechtsorganisationen und Verbänden der Vereinten Nationen, die seit Jahren die diskriminatorische Anwendung des Antiterrorgesetzes anprangern und auf die Verletzung fundamentaler Menschenrechte und des Prozessrechts hinweisen.

Madariaga wies außerdem daraufhin, dass es sich zwar nicht um ein straf- oder zivilrechtliches Verfahren handle, der Staat Chile müsse jedoch trotzdem mit Sanktionen rechnen, die von der Entschädigung der Opfer bis zur Gesetzesänderung reichten. Das Besondere an dem Prozess sei, „dass es nun nicht mehr die Gemeindevorsteher sind, die sich wegen der Verletzung von Menschenrechten gerichtlich verantworten müssen, sondern der Staat Chile.“

Mehr als symbolische Sanktionen erwartet

Beide Anwälte rechnen damit, dass die Verurteilung nicht rein symbolischer Natur sein wird, da die Kommission die angezeigten Menschenrechtsverletzungen als sehr eindeutig und konkret betrachtet und von einer diskriminatorischen Anwendung des Antiterrorgesetzes gegen das Volk der Mapuche ausgeht. „Die Verurteilung der Angehörigen dieser Ethnie durch die chilenischen Gerichte basierte ausschließlich auf Vermutungen, die in den Gerichtsverhandlungen nicht bestätigt werden konnten. So wurden Dinge herangezogen, von denen die Richter aus den Medien erfahren hatten. So sollte im gerichtlichen Kontext keine Beweisführung stattfinden. Auch das Prinzip der gesichtslosen Zeugen wurde international verurteilt", erklärten sie.

Auf die Frage, was passiert, wenn den Auflagen des Gerichtshofs nicht Folge geleistet wird, erklärte Madariaga: „Ein Staat, der die Auflagen gegenüber der internationalen Staatengemeinde nicht erfüllt, verdient ihren Respekt nicht. Wenn es sich um internationale Verpflichtungen handelt, müssen diese auch erfüllt werden.”

Die zu verhandelnden Fälle

Unter dem Vorsitz von Ricardo Lagos wird der Gerichtshof der Organisation Amerikanischer Staaten drei Klagen behandeln, die sich gegen die Verurteilung von Mapuche-Angehörigen nach dem Antiterror-Notstandsgesetz richten. Sie wurden von Segundo Aniceto Norín Catrimán und Pascual Huentequeo Pichún Paillala vorgelegt. Die beiden Gemeindevorsteher waren wegen terroristischer Bedrohung eines Manns namens Juan Agustín Figueroa verurteilt worden.

Weitere Klagen richten sich gegen die Verurteilung von Florencio Jaime Marileo Saravia, José Huenchunao Mariñán, Juan Patricio Marileo Saravia, Juan Ciriaco Millacheo Lican und Patricia Roxana Troncoso Robles, die wegen Brandstiftung auf der Plantage Poluco-Pidenco im Jahr 2001 verurteilt wurden, sowie den Tatvorwurf gegen Víctor Manuel Ancalaf Llaupe, der in Alto Bio Bio mehrere LKWs angezündet haben sollte. Sämtliche Angeklagte sind Angehörige der Volksgruppe der Mapuche.

Kommission: Anti-Terror-Gesetz gezielt gegen Mapuche angewendet

Ihre Entscheidung, diese Fälle an den Interamerikanischen Gerichtshof weiterzuleiten, begründete die Kommission damit, dass die Gemeindemitglieder nach einer gesetzlichen Regelung verurteilt worden seien, die den Prinzipien des Rechtsstaates zuwiderlaufe. Daneben habe es in den Verfahren eine Reihe von Unregelmäßigkeiten gegeben. Die ethnische Herkunft der Angeklagten sei außerdem in diskriminierender Weise und zu ihrem eindeutigen Nachteil in die Verhandlung eingeflossen.

Das Antiterrorgesetz sei gezielt für die Verurteilung der Mapuche in Chile angewendet worden. Die Klärung dieses Falls könne zur Etablierung von Standards hinsichtlich der Gleichbehandlung und Vermeidung von Diskriminierung beitragen, denn der Vorwurf, dass ein Gesetz selektiv auf eine Bevölkerungsgruppe angewendet wird, die unter dem Schutz der Antidiskriminierungsklausel der Amerikanischen Konvention steht, schafft die Grundlage für einen Präzedenzfall.

Gerichtshof kann strukturelle Diskriminierung untersuchen

So kann der Gerichtshof gemäß den Antidiskriminierungs- und Gleichbehandlungsgesetzen die unterschiedlichen Fälle dieser selektiven Anwendung des Gesetzes einschließlich ihrer verheerenden Folgen auf dem Hintergrund dieser Standards untersuchen und der Frage nachgehen, wie die ethnische Zugehörigkeit einer Person sich bei einer gerichtlichen Entscheidung auswirkt, insbesondere im Rahmen eines Strafverfahrens.

Daneben kann der Gerichtshof über angemessene Entschädigungen und Möglichkeiten zur Vorbeuge gegen Wiederholungsfälle nachdenken, um frühzeitig gegen diskriminatorisches Verharren in Stereotypen und Vorurteilen zum Schaden einer klar definierten Gruppe einzuschreiten.

Das Mandat des Interamerikanischen Gerichtshofs

Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte ist ein zentrales und autonomes Organ der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), deren Mandat auf die Charta der OAS und die Amerikanische Menschenrechtskonvention zurückgeht. Die Interamerikanische Kommission hat den Auftrag, die Situation der Menschenrechte auf dem Kontinent zu überwachen. Sie berät die OAS in einschlägigen Fragen. Die Interamerikanische Kommission besteht aus sieben unabhängigen Mitgliedern, die von der Generalversammlung der OAS gewählt werden. Sie handeln nicht in Vertretung ihrer Herkunftsländer oder der Länder, in denen sie leben.

*Herausgeber*: Nachrichtenpool Lateinamerika e.V. Köpenicker Straße
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ARGENTINIEN: Erstmals Indígena zum Bürgermeister gewählt

Poonal Nr. 964
Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer
Agenturen vom 19. September bis 25. September 2011


ARGENTINIEN

Erstmals Indígena zum Bürgermeister gewählt


(Berlin, 23. September 2011, npl-poonal).- (Lima, 23. September 2011, servindi).- Zum ersten Mal in der Geschichte Argentiniens wurde in der Provinz Chaco am 18. September ein Indígena ins Bürgermeisteramt gewählt. Der 37-jährige Ricardo Sandoval vom Volk der Toba war bei den Wahlen in El Espinillo für die Wahlallianz Front für den Sieg FPV (Frente para la Victoria) der amtierenden Präsidentin Cristina Kirchner angetreten. Sandoval hatte 27 Prozent der Stimmen erhalten.

„Mit einer Wahl wie der vom vergangenen Sonntag haben die indigenen Gemeinden ihre Mentalität dahingehend geändert, dass sie entscheiden können und ein politisches Projekt vorantreiben“, unterstrich Sandoval. Wichtige Vorhaben seien der Bau einer asphaltierten Straße bis zu den indigenen Gemeinden sowie die Errichtung eines Abwassersystems und die Trinkwasserversorgung, ergänzte der frisch gewählte Bürgermeister.

Gemeindereform und Quotenregelung

Sandoval ist der erste Bürgermeister des Gemeindebezirks El Espinillo überhaupt. Der Bezirk war auf Drängen der lokalen Bevölkerung erst vor wenigen Monaten durch eine Strukturreform geschaffen worden, wie lokale Medien berichten.

Festgelegt wurde bei der Reform demnach auch, dass Ämter entsprechend des Bevölkerungsanteils an Indígenas vergeben werden müssen. Als Grundlage soll der jeweils letzte Zensus dienen. Mit dieser Quotenregelung wolle man verhindern, dass, ähnlich wie in anderen Gemeinden des Chaco, eine indigene Mehrheit von einer weißen Minderheit regiert wird, so die argentinische Zeitung El Clarín in ihrer Onlineausgabe.

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COSTA RICA Historisches Urteil: Staat muss zugunsten von Indígenas enteignen

Poonal Nr. 964
Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer
Agenturen vom 19. September bis 25. September 2011

COSTA RICA

Historisches Urteil: Staat muss zugunsten von Indígenas enteignen

(Lima, 15. September 2011, noticias aliadas-poonal).- Costa Rica muss rund 4.500 Hektar Land enteignen und an das indigene Volk der Bribri zurückgeben. Die auf dem Gebiet momentan lebenden 300 nicht-indigenen Personen müssen umgesiedelt werden. Das entschied ein costaricanisches Gericht am vergangenen 12. September.

Das Territorium gehört zum Reservat Keköldi, das sich nahe der Karibikküste in der Provinz Limon befindet. Das Schutzgebiet war 1977 geschaffen worden, die Ausdehnung wurde in den Jahren 1997 und 2001 jedoch verändert.

Positiver Präzedenzfall

Danilo Chaverri, Anwalt der Indígenas bezeichnete das Urteil des Gerichts als historisch. „Es ist das erste Mal, dass Indígenas gegen den Staat klagen, folglich hat es noch nie solch ein Urteil in diesem Sinne gegeben.“ Jahrzehntelang habe der Staat das Gesetz zu den Rechten der Indígenas missachtet ‒ das Urteil bestätige im Grunde nur diese Novelle, so Chaverri.

Die Entscheidung des Gerichts wertete Chaverri jedoch als positiven Präzedenzfall für künftige Klagen. Viele Plätze, die nun wieder in den Besitz der Bribri übergehen, seien zudem heilige Orte für dieses Volk, erklärte der Anwalt.

Entscheidungsbasis ILO-Konvention 169

Die vorsitzende Richterin Cynthia Abarca Gómez berief sich bei der Urteilsbegründung auf die Konvention 169 zu Indigenen Rechten der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Demnach bestehe die Pflicht, Gebiete in indigenen Territorien zu enteignen, wenn diese von Nicht-Indigenen besetzt worden sind, so die Richterin.

En Costa Rica leben rund 64.000 Indígenas bei einer Gesamtbevölkerung von 4,5 Mio. Menschen.

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